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Am Freitag, 20.10.2023 fand wieder ein „Talk am Freitag – AG Wirtschaft“ statt.

Thema des Abends war: „Überwachungskapitalismus – Was ist das eigentlich?“

 

Patrick Breyer (MdEP) hat dieses Thema mehrfach im Europaparlament angesprochen, aber wer hört da schon zu. 😉

Der Begriff „Überwachungskapitalismus“ ist auch kein „Neuland“, sondern wurde schon 2015 von Shoshana Zuboff geprägt. Den interessanten Vortrag von Leo Hennecke auf Bits & Bäume des CCC in 2022 hat vermutlich auch kaum jemand mehr parat.

Kapitalismuskritik ist ziemlich alt und selbst in der Piratenpartei umstritten. Die Ursache liegt eher in der Verbreitung von neoliberalen und ordoliberalen Strömungen, die zwar ärgerlich sind, aber bei diesem Vortrag keine Rolle spielen sollen.

Überwachungskapitalismus am Beispiel Google

Google ist deshalb so erfolgreich, weil das Unternehmen einer der größten Datensammler der Welt geworden ist und so das Geschäft des Jahrhunderts überhaupt erst ermöglichte: die Umwandlung von Daten und menschlichen Erfahrungen in Profit.

In seinen Anfangsjahren war Google eine einfache Suchmaschine. Die Daten, die Nutzer durch ihre Suchanfragen erzeugten, galten noch nicht als wertvolle Ressource, sondern als bloße Datenabgase. Genutzt wurden sie nur, um die Suchergebnisse für ihre Nutzer zu optimieren.

Google verkaufte die Daten nicht als Produkt und schlug auch keinen Profit daraus, es bot lediglich eine nützliche Suchfunktion an.

Das änderte sich, als im Jahr 2000 die Dotcom-Blase platzte. Dem jungen Internetunternehmen sprangen reihenweise die Investoren ab und auch Google musste zusehen, wie es an Geld kam. Das Unternehmen gründete das AdWords-Team und begann, die Verhaltensdaten seiner Nutzer an die Werbebranche zu verkaufen.

Der Überwachungskapitalismus war geboren.

Google zielte fortan darauf ab, Werbung profitabler zu machen – natürlich nicht im Sinne der Nutzer, sondern im Eigeninteresse sowie im Interesse seiner Werbekunden.

Verhaltensdaten sind der Rohstoff der Überwachungsökonomie, also Daten zu analysieren, um immer präzisere Vorhersagen zu erzeugen. Die Vorhersageprodukte werden auf einem Marktplatz verkauft, auf dem sich Internetunternehmen und Werbekunden treffen.

Als Google den Wert von Verhaltensdaten entdeckte, erhob es sogleich Anspruch darauf. Google veröffentlichte sechs Deklarationen, die auch als Gründungsdokument des Überwachungskapitalismus bezeichnet werden können.

Erstens erhob Google Anspruch auf menschliche Erfahrung als besitzerloser Rohstoff. Die Rechte und Interessen der betroffenen Personen wie auch deren Kenntnisnahme und Einverständnis können vor diesem Hintergrund ignoriert werden.

Zweitens forderte Google das Recht ein, die Erfahrung seiner Nutzer in Verhaltensdaten umwandeln zu dürfen.

Daraus leitete Google wiederum Besitzansprüche auf die erhobenen Verhaltensdaten (drittens) sowie auf das darin enthaltene Wissen (viertens) ab.

Fünftens nahm sich Google das Recht heraus, darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zweck dieses Wissen eingesetzt wird.

Sechstens schrieb sich Google die Deutungshoheit über die rechtmäßige Art der Datenerhebung und -nutzung zu.

Diese beispiellose Aneignung von Verhaltensdaten und Wissen bildet die Grundlage für die Vorherrschaft im Kontext des Überwachungskapitalismus.

Wissen übersetzt sich bekanntlich in Macht

Die Wissensteilung, das heißt, die Frage nach dem Zugang zu Wissen, bestimmt die gesellschaftliche Ordnung.

Der Überwachungskapitalismus etabliert eine fatale Asymmetrie von Wissen und Macht. Eine kleine, von privatwirtschaftlichen Interessen geleitete und durch intelligente Maschinen unterstützte Priesterschaft von Computerexperten waltet über die Wissensteilung in der Gesellschaft.

Die Macht der Überwachungskapitalisten ist weder demokratisch legitimiert, noch gibt es wirksame Gesetze, die sie einschränken.

„Die Onlinewelt […] wird kaum durch Gesetze beschränkt.“ Damit sei das Internet „der größte unregulierte Raum der Welt“. So schwärmten die Google-Manager Eric Schmidt und Jared Cohen in ihrem 2013 erschienenen Buch „Die Vernetzung der Welt“.

Eben dieser Mangel an Gesetzen und Beschränkungen verhalf Firmen wie Google zu ihren epochalen Erfolgen.

Überwachungskapitalismus versus tradierte Wirtschaftsmodelle

Im Überwachungskapitalismus weichen die grundlegenden Prinzipien und Praktiken von den traditionellen Wirtschaftsmodellen ab.

  1. Die Unsichtbare Hand:
    Im traditionellen Kapitalismus geht man davon aus, dass individuelle Freiheit auf dem Markt letztendlich das Wohlstand für alle fördert. Dieses Prinzip, auch als „Die Unsichtbare Hand“ bekannt, basiert jedoch auf der Annahme, dass das Wissen über den Markt gleichmäßig verteilt ist. Im Überwachungskapitalismus ist diese Freiheit jedoch bedingt, da das Wissen über den Markt und die Daten, die ihn antreiben, in den Händen weniger mächtiger Akteure konzentriert sind.
  2. Abschaffung des Gegenseitigkeitsprinzips:
    In der klassischen ökonomischen Theorie führt eine Preiserhöhung zu Lohnerhöhungen, da die Arbeiter weiterhin konsumieren und sich die hergestellten Waren auch leisten müssen. Im Überwachungskapitalismus sind die Unternehmen jedoch nicht mehr von ihren Nutzern als Konsumenten abhängig. Stattdessen verkaufen sie die gesammelten Daten an Dritte, wie Werbekunden, und brechen somit das traditionelle Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit.
  3. Der Mensch als Teil eines Kollektivs:
    Im traditionellen Kapitalismus spielt das individuelle Verhalten eine entscheidende Rolle. Im Überwachungskapitalismus hingegen interessiert das Verhalten des Einzelnen nicht, sondern nur das Verhalten der Masse, das vorhergesagt und verwertet werden kann. Individuelle Bedürfnisse und Präferenzen werden in der Masse aufgelöst.

Im Überwachungskapitalismus zielt die Geschäftsstrategie darauf ab, mithilfe der gesammelten Daten immer präzisere Vorhersagen zu generieren, die dann auf einem Marktplatz verkauft werden. Diese Datenprodukte, die auf persönlichen Informationen und Erfahrungen der Nutzer basieren, werden als äußerst wertvoll erachtet und haben eine entscheidende Rolle im wirtschaftlichen Erfolg dieser Unternehmen.

Eine besorgniserregende Tatsache ist, dass die Macht dieser Unternehmen weder demokratisch legitimiert ist, noch ausreichend durch wirksame Gesetze eingeschränkt wird. Dies hat zu einer bedeutenden Asymmetrie in Bezug auf Wissen und Macht geführt, wobei eine kleine Elite von Computerexperten, unterstützt durch intelligente Maschinen, über die Verteilung von Wissen und Informationen in der Gesellschaft entscheidet.

Die Ideologie des Neoliberalismus, die staatliche Aufsicht und Regulierung als Feindbild betrachtet, hat den Aufstieg des Überwachungskapitalismus begünstigt. Der Mangel an Gesetzen und Beschränkungen hat es Unternehmen wie Google ermöglicht, ihren Einfluss auf beispiellose Weise auszudehnen.

Besonders bedeutsam ist, dass nach den Anschlägen vom 11. September das öffentliche Interesse an der Privatsphäre nachließ und die öffentliche Sicherheit in den Vordergrund rückte. Dies führte zu Gesetzen, die eine umfassende Überwachung im Internet erlaubten, und die Interessen von staatlichen Behörden und Unternehmen in diesem Bereich näherten sich immer stärker an.

Heute ist die Praxis des Überwachungskapitalismus weitgehend zur Norm geworden. Die Daten der Nutzer werden routinemäßig erfasst und ohne großes Nachdenken weiterverwendet. Dies mag auf den ersten Blick wie die übliche kapitalistische Ausbeutung erscheinen, aber tatsächlich gibt es grundlegende Unterschiede, die dieses Modell einzigartig machen.

Ein zentraler Aspekt ist der sogenannte „Enteignungszyklus

Dieser Zyklus beginnt mit dem Eindringen in einen ungeschützten Raum, in dem sich unser Leben und unsere Kommunikation abspielen, sei es unser Laptop, Smartphone oder private E-Mails. Auf diesen Übergriff folgt die Gewöhnung, wodurch das Eindringen zur Normalität wird.
Wenn gesetzliche Einschränkungen auftreten, folgt die taktische Anpassung der Praktiken, um öffentlichem Druck nachzugeben. Schließlich wird eine neue Rhetorik und Methode etabliert, um die umstrittenen Praktiken zu rechtfertigen und den Zyklus von Neuem zu beginnen.

Die Zukunftspläne des Überwachungskapitalismus zielen darauf ab, weitere Einfallstore zu schaffen. Dies soll durch das „Internet der Dinge“ (IoT) erreicht werden, in dem jedes vernetzte Gerät Daten erzeugt.
Die Ausbeutung unserer Privatsphäre soll sich auf eine neue Ebene verlagern, und Unternehmen streben nach einer Welt, in der ein unsichtbares Netzwerk von Datensammlern die reale Welt überlagert.

Der Vorhersageimperativ

Eine weitere entscheidende Triebkraft des Überwachungs­kapitalismus ist der „Vorhersageimperativ“.

Der Wert der Daten basiert auf ihrer Fähigkeit, präzise Vorhersagen zu ermöglichen. Dies hat zur Entwicklung von Produkten geführt, die gezielt auf Werbung und Marketing ausgerichtet sind, aber in Zukunft noch stärker auf die Vorhersage von individuellem Verhalten abzielen.

In diesem Kontext wird die Expansion als unausweichlich dargestellt, und Unternehmen behaupten, dass viele der Veränderungen unvermeidlich seien.

Diese Unvermeidlichkeitsdoktrin dient als rhetorisches Mittel, um den Fokus von ökonomischen Prinzipien wie dem Extraktions- und Vorhersageimperativ abzulenken. Sie soll die Menschen in Resignation und Passivität halten und den Glauben fördern, dass die Gestaltung der digitalen Zukunft den Unternehmen überlassen werden sollte.

Abhängigkeit, die Überwachungskapitalismus bei den Nutzern schafft.

Die Sucht nach sozialer Anerkennung und die Angst vor sozialer Isolation treiben uns dazu, unser Leben und unsere Gedanken im Internet zu teilen und den Unternehmen dadurch uneingeschränkten Zugriff auf unsere persönlichen Daten und Gedanken zu gewähren. Dies schafft eine starke Bindung, die es den Unternehmen ermöglicht, unsere Daten weiterhin zu sammeln und zu nutzen.

Um diesem Modell entgegenzuwirken, ist es von entscheidender Bedeutung, die moralischen und politischen Konsequenzen des Überwachungskapitalismus zu verstehen.

Dies erfordert ein kritisches Bewusstsein für die wachsende Macht dieser Technologieunternehmen und die möglichen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Fazit:

Bürger, Regierungen und die Zivilgesellschaft müssen sich aktiv für den Schutz der Privatsphäre und individuellen Freiheit engagieren, um sicherzustellen, dass die Digitalisierung in einer Weise gestaltet wird, die die Würde und Freiheit der Menschen wahrt.

Dies erfordert nicht nur neue Gesetze und Regulierungen, sondern auch eine tiefgreifende kulturelle Veränderung im Umgang mit persönlichen Daten und digitaler Technologie.


Zum Nachhören: https://owncloud.ag-technik.de/s/tgn2AaXKeGkkXJJ